Vertrauensaufbau im E-Commerce

Elderly Couple
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„Wenn man einem Menschen trauen kann, erübrigt sich ein Vertrag. Wenn man ihm nicht trauen kann, ist ein Vertrag nutzlos.“

Jean Paul Getty

Unser gesamter Lebensweg baut auf Vertrauen auf: Unser Vertrauen in unsere Eltern, in unseren Ehepartner, unsere Freunde, unseren Arbeitgeber. Vertrauen ist aber auch die Grundlage aller Verträge. Ohne Vertrauen in das eigene Unternehmen suchen sich Mitarbeiter schnell einen anderen Arbeitgeber. Und Jobsuchende machen einen Bogen um Unternehmen, die nicht vertrauenswürdig sind. Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit eines Unternehmens – z. B. in Bezug auf seine Zukunftsfähigkeit – erhöhen die Risikoaufschläge bei Krediten und kosten auf der Fremdkapitalseite Geld. Beschädigtes Vertrauen bei den Kunden führen langfristig zu niedrigeren Umsätzen und kann im schlimmsten Fall das langfristige Überleben des Unternehmens gefährden.  

Vertrauensaufbau zwischen anonymen Vertragspartnern

Wie aber baut man Vertrauen unter Vertragspartnern auf, die sich nie persönlich, sondern nur im Internet begegnen? Welche Elemente nehmen Besucher einer Internet-Seite als vertrauensbildend wahr, und bei welchen Elementen kommen ihnen Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit? Es existieren verschiedene Elemente, die das Vertrauen der Besucher einer Internet-Seite stärken und solche, die es schwächen.

Zu den vertrauensstärkenden Elementen gehören z. B. Belege einer hohen inhaltlichen Kompetenz des Anbieters. Dies ist insbesondere bei den Anbietern in den Vertrauensgüterindustrien Bildung, Finanzen, Rechtsberatung, Gesundheitsdienstleistungen sehr wichtig, denn von der Kompetenz hängt die Qualität der Dienstleistung ab. Wir gehen hierauf ausführlich in der Rubrik „Eye-Tracking für Vertrauensindustrien“ ein und zeigen Möglichkeiten auf, wie das Internet genutzt werden kann, um das Vertrauen der Kunden in die Kompetenz des Anbieters zu stärken.

Kundenbewertungssysteme als vertrauensbildende Maßnahme

Das Internet erschwert aber nicht nur durch die Anonymität zwischen Anbietern und Nachfragern den Aufbau von Vertrauen. Es bietet auch ganz neue Möglichkeiten, Vertrauen herzustellen, die offline gar nicht möglich wären. Hier sind allen voran die Kundenbewertungssysteme zu nennen, in denen Kunden Lob und Tadel eintragen können. Ehrliche Unternehmen, die Kundenbeschwerden tatsächlich auch ernst nehmen und großen Wert darauf legen, die Kunden durch einen tadellosen Service zu überzeugen, werden Bewertungssysteme nutzen, die Kundenmeinungen nicht zensieren, sondern offenlegen. Im Gegensatz dazu werden Unternehmen, die systematisch Serviceleistungen immer weiter eliminieren und entweder den Kunden die Leistungserstellung erbringen lassen, oder aber die Gewährleistung auf anonyme Subunternehmer abwälzen, sich davor scheuen, so viel Qualitätstransparenz zu bieten.

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„https://www.youtube.com/watch?v=eY9DA3EbLHA&t=13s“

„Online Trust: Transparency and consumer perceptions in e-commerce“

Ein gutes Beispiel ist der Vergleich von zwei Möbelhäusern: Der schwedischen Marktführer im stationären Handel IKEA und das Hamburger Online Möbelversandhaus Otto. Ein Kundenbewertungssystem sucht man bei IKEA vergeblich. Die Erfahrungsberichte leidgeprüfter IKEA-Kunden findet man dann aber in Zeitungsartikeln z. B. im Spiegel oder in der FAZ, die aber auch strukturelle, interne Probleme des Unternehmens jenseits des beschriebenen Einzelfalls aufzeigen. Im Gegensatz dazu betreibt das Hamburger Online Möbelversandhaus Otto ein transparentes Kundenbewertungssystem, das ganz offen Beschwerden von Kunden zu einzelnen Produkten differenziert zur Sprache bringt.

Gerade die Selbständigen haben es besonders schwer, das Vertrauen der Besucher ihrer Internetseiten zu gewinnen. Doch sie haben auch einige Vorteile, die sie nutzen können, um Vertrauen aufzubauen. Godin [2005] hat in seinem Buch begründet, dass wahre, authentische – und natürlich auch glaubhafte – Geschichten in unserer anonymen Welt, die voll von austauschbaren Werbephrasen ist, Vertrauen herstellen können.[1]

Eye-Tracking Studien zum Vertrauen im E-commerce

Bereits vor 15 Jahren haben Riegelsberger, Sasse and McCarthy [2002a],  [2002b] und [2003] Eye-Tracking eingesetzt, um den Einfluss zu messen, den Photographien auf das Vertrauen haben können, das Konsumenten einer bestimmten Website entgegenbringen. Miyamoto, Blanc und Kadobayashi [2015] haben in ihrer experimentellen Studie zum Identifikationsvermögen von Phishing Websites die Möglichkeit nachgewiesen, Vertrauensentscheidungen der Nutzer ausschließlich anhand der Augenbewegungen abzulesen. Adelmeyer, et al., [2016] sind in ihrer Studie den Möglichkeiten von Cloud-Computing Anbietern nachgegangen, die zahlreichen Vertrauensprobleme, die sich bei diesen Angeboten stellen, durch die Bereitstellung von verschiedenen Vertrauenssignalen, wie z. B. Zertifikaten, Kundenbewertungen, Referenzkunden sowie von vertrauensrelevanten Informationen zur Ausfallsicherheit zu reduzieren. Im Rahmen ihrer Eye-Tracking Studie haben sie sowohl die Wahrnehmung als auch die positiven Auswirkungen dieser Vertrauenssignale bestätigt gefunden.

Messung der Veränderung der Puppilengröße durch Eye-Tracking

Darüber hinaus kann mit Eye-Tracking die Pupillengröße und ihre Veränderung gemessen werden. Das ist im Zusammenhang mit Vertrauen deshalb von großer Bedeutung, da die Pupillengröße bei der Beurteilung der Sympathie und des Vertrauens zwischen Menschen eine große Rolle spielt. Die Eye-Tracking Studie von Kret, Fischer und De Dreu [2015] hat ergeben, dass sich Partner vertrauen bzw. misstrauen, wenn ihre Pupillen vergrößert oder verengt sind. Bei der Wahl von Photographien, die vertrauenerweckende Personen zeigen, muss auch daher auch dieses Detail berücksichtigt werden. Dass sich die Attraktivität von Webseiten durch Bilder von Personen steigern lässt und solchen Webseiten stärker vertraut wird, hat die Eye-Tracking Studie von Djamasbi, Siegel, Tullis und Dai [2010] gezeigt.

Vertrauen im HR-Marketing

Die Anwendungen von Eye-Tracking im Zusammenhang von Vertrauen beschränken sich allerdings nicht nur auf das Vertrauensverhältnis zwischen Kunde und Anbieter. Auch das Vertrauen

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zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern ist zentral. Auf die Sichtweise der Arbeitnehmer, die einen vertrauenswürdigen Arbeitgeber suchen, gehen wir im Abschnitt HR: Stellenanzeigen ein. Gleichzeitig stehen auch Arbeitgeber vor einem Vertrauensproblem, das z. B. im Bereich der Sicherheitsfirmen besonders gravierend ist und z. B. den Einsatz spezifischer Testverfahren zur Ehrlichkeit des Bewerbers rechtfertigen kann. In der Rubrik und Deception Detection – Lie Detector beschäftigen wir uns mit solchen Testverfahren, die Eye-Tracking hierfür nutzen. Bildnachweis:

Einsatz von Photographien mit menschlichen Gesichtern

Eine wichtige Frage, die sich beim Design von Websites immer wieder stellt, ist der Gebrauch von Bildern mit menschlichen Gesichtern. Erhöhen solche Bilder – vorausgesetzt es handelt sich um vertrauenswürdige Personen – das Vertrauen, das einer Website entgegengebracht wird, oder ist dies unerheblich? Djamasbi, et al. [2010] sind dieser Frage in ihrer Eye-Tracking Studie nachgegangen. Demnach hat es sich gezeigt, dass die Nutzer eine Website mit Gesichtern visuell anziehender empfanden, die Aufgaben schneller gelöst haben und den Inhalten der Website mehr vertraut haben.

Vertrauen und die Wahl der Zahlungsbedingungen

Vorkasse erfordert größeres Vertrauen seitens des Kunden als die Lieferung gegen Rechnung. Hu, Zhang und Xu [2013] sind in ihrer Eye-Tracking Studie unter anderem auch der Frage nachgegangen, ob Qualitätsunsicherheit einen Einfluss auf die Wahl der Kunden bei den Zahlungsbedingungen hat.

Visuelle Beachtung von Zertifikaten

Ein Mittel, um Vertrauen über das Internet herzustellen, sind Zertifizierungen (bei Hochschulen Akkreditierungen). Da Unternehmen für die Zertifizierungen einen nennenswerten Geldbetrag ausgeben müssen und hierdurch nicht unerheblicher Verwaltungsaufwand entsteht, stellt sich die Frage, ob die Internetbesucher diese Qualitätssymbole überhaupt wahrnehmen – ob sich der Aufwand also überhaupt lohnt. Dieser Frage sind Kirlappos, et al. [2013] in ihrer Eye-Tracking Studie nachgegangen und haben für die Anbieter dieser Zertifizierungen eine wenig erfreuliche Antwort gefunden.

Literatur

Adelmeyer, Michael, Beinke, Jan Heinrich, Walterbusch, Marc, Gameiro, Ricardo Ramos, König, Peter, and Teuteberg, Frank, [2016], „Eye-Tracking zur Untersuchung von Vertrauenssignalen auf Webseiten von Cloud Computing-Anbietern“, Seite 883-896, in: Heinrich C. Mayr, Martin Pinzger (Hrsg.), INFORMATIK 2016, Lecture Notes in Informatics (LNI), Gesellschaft für Informatik, Bonn 2016.

Chae, Seong Wook, Seo, Young Wook and Lee, Kun Chang, [2012], “Exploring Human Brands in Online Shopping: An Eye-Tracking Approach”, in: Pan, Jeng-Shyang, Chen, Shyi-Ming and Nguyen, Ngoc Thanh, (eds.), [2012], Intelligent Information and Database Systems: 4th Asian Conference, ACIIDS 2012, Kaohsiung, Taiwan, March 19-21, 2012, Proceedings, Part III, Lecture Notes in Computer Science 7198 Lecture Notes in Artificial Intelligence, Springer-Verlag Berlin Heidelberg, Berlin, New York, 2012.

Djamasbi, S., Siegel, M., Tullis, T., and Dai, R., [2010], “Efficiency, Trust, and Visual Appeal: Usability Testing through Eye Tracking,” in Proceedings of the Forty-Third Annual Hawaii International Conference on System Sciences (HICCS), Computer Society Press, pp. 1-10, 2010.

Godin, Seth, [2005], “All marketers are liars- The power of telling authentic stories in a low trust world”, Penguin Group, USA, 2005.

Hu, Linfeng, Zhang, Wuke, and Xu, Qing, [2013], “The Determinants of Online Payment Method Choice: Insight from an Eye-Tracking Study”, The Twelfth Wuhan International Conference on E-Business—Human Behavior and Social Impacts on E-Business Track, May, 2013.

Kirlappos, Iacovos, Sasse, M. Angela and Harvey, Nigel, [2013], “Why Trust Seals Don’t Work: A study of user perceptions and behavior”, Discussion Paper, University College London, Department of Computer Science and Department of Psychology, London, United Kingdom, January 2013.

Miyamoto, Daisuke, Blanc, Gregory and Kadobayashi, Youki, [2015], “Eye Can Tell: On the Correlation between Eye Movement and Phishing Identification”, Working Paper, The University of Tokyo, 2015.

Riegelsberger, Jens, Sasse, M. Angela and McCarthy, John D., [2002a], “Eye-Catcher or Blind Spot? The Effect of Photographs of Faces on E-Commerce Sites”, In: Monteiro, Joao, Swatman, Paula M.C., and Tavares, L. Valadares, [2002], Towards the Knowledge Society: eCommerce, eBusiness and eGovernment, The Second IFIP Conference on E-Commerce, E-Business, E-Government (I3E 2002) October 7–9, 2002, Lisbon, Portugal, 2006.

Riegelsberger, Jens, Sasse, M. Angela and McCarthy, John D., [2002b], “Trust at First Sight? A Test of Users’ Ability to Identify Trustworthy E-commerce Sites”, Department of Computer Science, University College London, Gower Street, London WC1E 6BT, UK, 2002.

Riegelsberger, Jens, Sasse, M. Angela and McCarthy, John D., [2003], “Shiny Happy People Building Trust? Photos on e-Commerce Websites and Consumer Trust”, CHI 2003, April 5–10, 2003, Ft. Lauderdale, Florida, USA.

 

[1] Chae, et al. [2012] haben in ihrer Eye-Tracking Studie den positiven Effekt eines solchen „human branding“ auf das Vertrauen nachweisen können.

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