Was kann Eye-tracking für den Nutzerwert von Internetseiten leisten?
Optimierung des Nutzerwertes von Internetseiten
Eine der Herausforderungen für die Marketing-Teams von Unternehmen besteht darin, die Inhalte, den Aufbau und das Design der eigenen Internetseiten möglichst optimal für die – häufig sehr heterogenen – Zielgruppen zu gestalten. Dabei geht es gleich um mehrere Dimensionen, die man aus Sicht des Unternehmens und der avisierten Nutzer berücksichtigen muss. Zu diesen Dimensionen gehören:
- der Informationsgehalt,
- die Navigation,
- die geschickte Lenkung der Aufmerksamkeit des Besuchers,
- die Seriosität der Seite und vertrauensstiftende Maßnahmen und
- Humor und das Auslösen positiver Emotionen beim Besucher.
Für die Dimensionen 3.-5. können Eye-Tracking Studien sowohl zur Problemidentifikation als auch zur Problemlösung wertvolle Beiträge liefern.
Die Lenkung der Aufmerksamkeit des Besuchers
Die Konkurrenz der Inhalte um die Aufmerksamkeit der Nutzer und Besucher ist auf dem Internet ungleich größer als die Konkurrenz der Fernsehsender oder der Printmedien am Zeitschriftenkiosk in früheren Jahren. Der Wechsel der Anbieter ist für den Nutzer in Sekundenbruchteilen möglich, ohne dabei Kosten tragen zu müssen. Und auf der Anbieterseite können intelligente Einzelpersonen, die den Besuchern inhaltlich wertvolle, innovative Angebote machen, mit Großunternehmen erfolgreich konkurrieren. Der Wettbewerb um die scheinbar alles entscheidende Aufmerksamkeit ist so groß geworden, dass man mittlerweile auch von der „Attention Economy“ spricht, der „Aufmerksamkeitsökonomie“.
Ganze Wirtschaftsbranchen sind mit ihren digitalen Geschäftsmodellen extrem von der Aufmerksamkeit der Besucher abhängig. Allen voran sind dies die Medien: die Tageszeitungen und die Zeitschriften. Aber auch bei den E-commerce Einzelhändlern wie z. B. Amazon, Ebay, oder Otto ist die Lenkung der Aufmerksamkeit der Besucher bzw. Käufer entscheidend für den Geschäftserfolg.
Unternehmen geben unabhängig von ihrer Größe einen erheblichen Anteil ihrer Online-Marketing Budgets für SEO – die Suchmaschinen Optimierung – aus und beschäftigen Spezialisten für die Analyse der Web-Daten (Web Analytics). Doch diese Bemühungen können ihre ganze Wirkungskraft nur dann entfalten, wenn der Aufbau der Internetseiten die Aufmerksamkeit der Besucher auch optimal lenkt und den Besuchern einen hohen Nutzen gibt, ohne ihn zu frustrieren.
Ob dieser Nutzen auch wirklich optimiert ist, können diejenigen nicht wissen, die die Internetseite gestaltet haben. Das lässt sich nur durch entsprechende Studien herausfinden. Will man ein ehrliches Bild der Nutzerfreundlichkeit gewinnen, reichen auch Befragungen nicht aus. Eye-Tracking Studien hingegen messen und dokumentieren, was die Nutzer tatsächlich wahrgenommen haben, wie lange sie es wahrgenommen haben und in welcher Reihenfolge. Auf diese Weise können Probleme entdeckt und behoben werden, die den Erfolg der Seite sehr reduzieren. Solche Probleme lassen sich noch korrigieren, bevor die Webseite für die Öffentlichkeit freigeschaltet wird.
Vor allen Dingen sind aber auch die Wahrnehmung und das Lese- und Nutzungsverhalten verschiedener Zielgruppen sehr unterschiedlich. So differiert z. B. die Lesekompetenz extrem stark in Abhängigkeit vom Alter, dem Bildungsstand und dem kulturellen Hintergrund. Dies lässt sich aber nicht durch Befragungen, sondern nur durch Eye-Tracking Studien objektiv und zutreffend in Erfahrung bringen.
Wie kann das Vertrauen der Besucher von Websites gestärkt werden?
Vertrauen ist gerade im E-commerce ein zentrales Problem. Aber auch für ganze Wirtschaftsbranchen – die sogenannten Vertrauensgüterindustrien – ist das Vertrauensproblem eines der zentralen Hindernisse im Marketing. „Was sind Vertrauensgüterindustrien?“ fragt sich der Leser vermutlich.
Sowohl bei Vertrauensgütern als auch bei Erfahrungsgütern kennt nur der Anbieter die wahre Qualität des Gutes oder der Dienstleistung, die er anbietet, bevor der Kunde sie kauft. Aus Sicht des Kunden ist die wahre Qualität des Angebotes mit Unsicherheit behaftet. Aber bei Erfahrungsgütern kann der Kunde die wahre Qualität durch Ausprobieren in Erfahrung bringen.
Im Gegensatz dazu kann der Kunde bei Vertrauensgütern aber selbst nach dem Kauf und der Erfahrung mit dem Gut oder der Dienstleistung nicht kompetent die tatsächlich gelieferte Qualität beurteilen. Kunden sind also gezwungen, dem Anbieter mehr oder weniger blind zu vertrauen. Wo kann das denn geschehen? Bei Dienstleistungen z. B. in:
- der Medizin,
- der Finanzanlage,
- der universitären Bildung,
- dem Rechtsbeistand und
- den Autoreparaturen
können wir sehr häufig auch dann nicht die tatsächliche Qualität der Leistung kompetent beurteilen, wenn wir sie empfangen haben.[1] In diesen Branchen ist Vertrauen die Grundlage des Geschäftes.
„https://www.youtube.com/watch?v=BvaaeHP9xtQ“
Werbesendung „Trump University Intro“
„https://www.youtube.com/watch?v=fnV21RHhhWo“
„Judge Approves $25 Million Settlement For Donald Trump University Lawsuit | NBC Nightly News“
Aber auch im E-commerce besitzt das Vertrauensproblem und seine Überwindung eine überragende Bedeutung, denn es fehlt häufig der persönliche vertrauensstiftende – Kontakt zwischen Käufer und Verkäufer.
Durch die persönliche Kommunikation können erfahrene und erfolgreiche Verkäufer nicht nur das Vertrauen individuell stärken, sie können auch direkt Bedenken der Kunden, die das Vertrauen betreffen, hören und an das Management weitergeben. Solch ehrliches Feedback zum mangelndem Vertrauen fehlt aber im E-commerce weitgehend. Denn welche Kundin macht sich schon die Mühe, einem Unternehmen, dem sie nicht vertraut, dies mitzuteilen? Wie können hier Eye-Tracking Studien helfen, das Vertrauen zu stärken? Das Vertrauensproblem im E-commerce ist so bedeutsam, dass hierzu mehrere Bücher geschrieben wurden, wie z.B. Chaney [2009], „The Digital Handshake: Seven Proven Strategies to Grow Your Business Using Social Media“ und Teten und Allen [2005] „The Virtual Handshake: Opening Doors and Closing Deals Online“.
Produktempfehlungen von Kunden
Die Studie von Castagnos, Jones und Pu [2010] hat ergeben, dass Empfehlungssysteme sehr erfolgreich dabei sein können, das Kundenvertrauen zu stärken und zu einer höheren Häufigkeit des Kaufabschlusses führen können. Die von ihnen untersuchten Nutzer haben bis zu 40% aktiv die Produkte angeklickt und angeschaut, die ihnen von Nutzern empfohlen wurden, und dies führte zu 50% mehr Kaufabschlüssen als bei herkömmlichen Werkzeugen. Auch ließ sich beobachten, dass Nutzer vermehrt den Empfehlungsbereich nutzten, je weiter sie sich dem Ende ihres Suchprozesses genähert hatten, was die Autoren der Studie dahingehend interpretieren, dass solche Weiterempfehlungen das Vertrauen in den Kaufabschluss stärken. Auch Chen and Pu [2011] haben in ihrer Eye-Tracking Studie solch positive Effekte von Kundenempfehlungen nachgewiesen.
Eye-Tracking kann das Entstehen von Vertrauen beim Internet-Nutzer messen und dokumentieren
Miyamoto, Blanc und Kadobayashi [2015] haben in ihrer experimentellen Studie zum Identifikationsvermögen von Phishing Websites die Möglichkeit nachgewiesen, Vertrauensentscheidungen der Nutzer ausschließlich anhand der Augenbewegungen abzulesen. Adelmeyer, et al., [2016] sind in ihrer Studie den Möglichkeiten von Cloud-Computing Anbietern nachgegangen, die zahlreichen Vertrauensprobleme, die sich bei diesen Angeboten stellen, durch die Bereitstellung von verschiedenen Vertrauenssignalen, wie z. B. Zertifikaten, Kundenbewertungen, Referenzkunden sowie von vertrauensrelevanten Informationen zur Ausfallsicherheit zu reduzieren. Im Rahmen ihrer Eye-Tracking Studie haben sie sowohl die Wahrnehmung als auch die positiven Auswirkungen dieser Vertrauenssignale bestätigt gefunden.
Darüber hinaus kann mit Eye-Tracking die Pupillengröße und ihre Veränderung gemessen werden. Das ist im Zusammenhang mit Vertrauen deshalb von großer Bedeutung, da die Pupillengröße bei der Beurteilung der Sympathie und des Vertrauens zwischen Menschen eine große Rolle spielt. Die Eye-Tracking Studie von Kret, Fischer und De Dreu [2015] hat ergeben, dass sich Partner vertrauen bzw. misstrauen wenn sich mit sich ihre Pupillen vergrößerten bzw. verengten. Bei der Wahl von Photographien, die vertrauenserweckende Personen zeigen, muss daher auch dieses Detail berücksichtigt werden. Dass sich die Attraktivität von Webseiten durch Bilder von Personen steigern lässt und solchen Webseiten stärker vertraut wird, hat die Eye-Tracking Studie von Djamasbi, Siegel, Tullis und Dai [2010] gezeigt.
Humor und das Auslösen positiver Emotionen beim Besucher
Die Entscheidungen, wie lange Besucher auf einer Internetseite bleiben, werden ähnlich getroffen wie Kaufentscheidungen: Der Verstand ist wichtig, aber die Emotionen haben häufig das letzte Wort. Deshalb ist es in sehr vielen Fällen wichtig, das emotionale Urteil der Besucher in Erfahrung zu bringen. Bemerkenswerterweise kann Eye-Tracking auch die emotionalen Reaktionen messen.
Maskeliunas und Raudonis [2016] konnten mit ihrem Eye-Tracking Versuch die Möglichkeit nachweisen, den emotionalen Zustand der Person anhand der Pupillenerweiterung bzw. -verengung in Erfahrung zu bringen. Bergerud [2013] ist in ihrer Master-Arbeit an der Copenhagen Business School der Frage nachgegangen, ob Menschen, die Geld für Hilfsorganisationen spenden wollen, eher durch Bilder über die Notsituation der Menschen zur Spende angeregt werden, oder eher über Bilder, die den Beweis der erfolgreichen Hilfe der Organisation erbringen. In ihrer Eye-Tracking Studie mit 80 Testpersonen hat sich im Ergebnis gezeigt, dass Bilder über die Notsituation von Kindern eine entsprechend starke Pupillenveränderung hervorgerufen haben und daraufhin die entsprechende Spendenentscheidung für das Kinderhilfswerk „SOS Kinderdorf e.V.“ ausgelöst haben und weniger Bilder über den Erfolg der Organisation.
Die Fähigkeiten von jungen und alten Menschen die Emotionen auf jungen und alten Gesichtern korrekt zu identifizieren, haben Ebner, He, Yi, und Johnson [2011] in ihrer Eye-Tracking Studie untersucht. Dabei hat sich gezeigt, dass die emotionale Verfassung auf jüngeren Gesichtern zutreffender erkannt wurde als bei älteren Gesichtern. Das gilt sowohl für jüngere als auch für ältere Betrachter. Darüber hinaus stellte sich heraus, dass die Betrachter lieber und länger auf Gesichter ihrer Altersklasse schauten.
Literatur
Adelmeyer, Michael, Beinke, Jan Heinrich, Walterbusch, Marc, Gameiro, Ricardo Ramos, König, Peter, und Teuteberg, Frank, [2016], „Eye-Tracking zur Untersuchung von Vertrauenssignalen auf Webseiten von Cloud Computing-Anbietern“, Seite 883-896, in: Heinrich C. Mayr, Martin Pinzger (Hrsg.), INFORMATIK 2016, Lecture Notes in Informatics (LNI), Gesellschaft für Informatik, Bonn 2016.
Bergerud, Thea, [2013], ”How Neuromarketing can Help Strengthen the Non-profit Sector: An Eye-‐tracking Study of Emotional Appeals in Fundraising Communications”, Copenhagen Business School, Department of Marketing, Master Thesis, 2013.
Castagnos, Sylvain, Jones, Nicolas and Pu, Pearl, [2010], “Eye-Tracking Product Recommenders’ Usage”, Working Paper, EPFL – HCI Group, 1015 Lausanne, Switzerland, 2010.
Chaney, Paul, [2009], The Digital Handshake: Seven Proven Strategies to Grow Your Business Using Social Media, John Wiley & Sons, Inc., Hoboken, New Jersey, 2009.
Chen, Li and Pu, Pearl, [2011], “Users’ Eye Gaze Pattern in Organization-based Recommender Interfaces”, ACM, IUI 2011, Proceedings of the 16th international conference on Intelligent user interfaces, pp. 311-314, February 13–16, 2011, Palo Alto, California, USA, 2011.
Djamasbi, S., Siegel, M., Tullis, T., and Dai, R., [2010], “Efficiency, Trust, and Visual Appeal: Usability Testing through Eye Tracking,” in Proceedings of the Forty-Third Annual Hawaii International Conference on System Sciences (HICCS), Computer Society Press, pp. 1-10, 2010.
Ebner, Natalie C., He, Yi, and Johnson, Marcia K., [2011], “Age and Emotion Affect How We Look at a Face: Visual Scan Patterns Differ for Own-Age versus Other-Age Emotional Faces”, Cognition & Emotion, Volume 25, No. 6, pp. 983–997, 2011.
Maskeliunas, Rytis and Raudonis, Vidas, [2016], “Are you ashamed? Can a gaze tracker tell?”, PeerJ Computer Science, pp. 1-22, 2016.
Miyamoto, Daisuke, Blanc, Gregory and Kadobayashi, Youki, [2015], “Eye Can Tell: On the Correlation between Eye Movement and Phishing Identification”, Working Paper, The University of Tokyo, 2015.
Rasch, Alexander and Waibel, Christian, [2015], “What Drives Fraud in a Credence Goods Market? — Evidence from a Field Study”, Discussion Paper, Heinrich‐Heine‐Universität Düsseldorf, Faculty of Economics, Düsseldorf Institute for Competition Economics (DICE), March 2015.
Schindler, Maike, Lilienthal, Achim J., Chadalavada, Ravi Teja and Ögren, Magnus, [2016], „Creativity in the eye of the student. Refining investigations of mathematical creativity using eye-tracking goggles”, Proceedings of the 40th Conference of the International Group for the Psychology of Mathematics Education, Volume 4, pp. 163-170, August 2016.
Schindler, Maike and Lilienthal, Achim J., [2017] “Eye-tracking as a Tool for Investigating Mathematical Creativity from a Process-View, in: Pitta-Pantazi, Demetra, (eds.), Conference Proceedings of the 10th International MCG Conference, pp. 45-50, Nicosia, Cyprus, 2017.
Teten, David and Allen, Scott, [2005], The Virtual Handshake: Opening Doors and Closing Deals Online, AMACOM, 2005.
[1] Siehe hierzu z. B. Rasch und Waibel [2015]